BAYREUTH – KAPITEL I

Icono-1-Section-4I. VOM GESAMTKUNSTWERK
ZUM VORHABEN EINES THEATERBAUS

Bayreuth das ist v. a. Der Ring des Nibelungen, ein Werk für vier Abende, dem Richard Wagner ein Viertel seines Lebens als Mensch und Musiker widmete.

Da scheint es fast normal, dass sein Autor, Richard Wagner, der im Übrigen auch zahlreiche theoretische Schriften über Musik und die moderne Art und Weise, lyrische Werke auf die Bühne zu bringen, geschrieben hat, für ein solches Meisterwerk mit insgesamt fast 16 Stunden Musik einen eigens dafür erbautes Theater als ganz natürlich und sogar unerlässlich sieht, um so optimale architekturale und akkustische Bedingungen zur Verfügung zu haben.

1- Von der Idee eines neuen Musikdramas
bis zur Konzeption eines dafür bestimmten Theaterbaus

Die traditionelle Oper des 18. Jahrhunderts und das Theater italienischen Stils, in dem die Oper nur noch als Zeitvertreib gesehen und sämtlichen Modeerscheinungen und Geschmäckern der Epoche nachgegeben wurde, gibt Wagner auf.

Dabei trieb Wagner wirklich ein brennendes Bedürfnis dazu, ein Bauwerk nach seinen akkustischen, sozialen und politischen Vorstellungen zu konzipieren und zu errichten. (Erwähnt sei an dieser Stelle auch, dass Wagner für eine Anordnung der Zuschauerplätze wie in einem Amphitheater plädierte, in dem jeder – unabhängig von seinem sozialen Status – die gleiche Sicht auf die Bühne haben sollte, eine Idee, die auf seine Unterhaltungen mit Friedrich Nietzsche, dem Autor der Geburt der Tragödie, zurückgeht.)

Um dieses Bedürfnis wirklich zu verstehen, ist es nötig, eine kleine Zeitreise ins Dresden jener Jahre zu unternehmen, welche der Aufstände im Jahr 1848 vorausgingen. Zu jener Zeit hat Wagner nach zahlreichen Enttäuschungen und Rückschlägen endlich die Gunst der Zuschauer auf seiner Seite und verfügt dank seiner ersten drei großen Opern (Rienzi, Der Fliegende Holländer und Tannhäuser) endlich über einen gewissen Ruf. Richard Wagner, welcher zu jener Zeit bereits in Magdeburg, Königsberg und schließlich Riga als Musikdirektor tätig gewesen war, ist zu jenem Zeitpunkt Kapellmeister am Theater des sächsischen Königshofs. Mit immer gewagteren, populistischen Äußerungen setzt sich Wagner dort für das Entstehen einer neuen

Gesellschaftsordnung sowie die Rückkehr des deutschen Volkes zu seinen Ursprüngen ein. Seine „Vorschläge“ werden dabei bald zu politischen Äußerungen und als subversiv bzw. gefährlich eingestuft. Richard Wagner schafft es jedoch, sich in einem Europa nach Napoleon und voller nationalistischer Strömungen Gehör zu verschaffen, und möchte das Seinige zu einer neuen Gesellschaft beitragen, was letzten Endes dazu führt, dass er für lange Jahre das Exil suchen muss.

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In seiner revolutionären Logik, die auf eine neue Ordnung abzielt, spielt die Kunst für Wagner eine entscheidende Rolle. Kunst muss nach Wagner sowohl von den Herrschern eines Volks als auch vom Volk selbst verstanden werden. Das Ziel von Kunst ist es, die Geister zu einem Ideal zu erheben, ihnen die gemeinsamen Ursprünge in Erinnerung zu rufen und sie um diese sublimierten Ursprünge zu versammeln. Seine Auffassung von Kunst muss sich sowohl in den Inhalten der Werke als auch in der Form, d. h. der Darstellung jener Werke auf der Bühne, spiegeln. Wichtig ist, zur Essenz des Theaters, zum Theater der anciens, v. a. dem klassischen griechischen Theater, zurückzukehren.

Wagner sieht sich hierbei in der Rolle eines Propheten: Er ist es, der es schaffen kann, die Kunst von altem Staub zu befreien und dem lyrischen Theater zu einer neuen Form zu verhelfen, die von dem Joch losgekommt, das ihr das Bürgertum des 19., so kapitalistischen und industriellen Jahrhunderts, auferlegt hat. Wagners Waffenbrüder (bei den Waffen handelte es sich zunächst nur um Worte, im Jahr 1848 dann auch um Schusswaffen) sind Gottfried Semper (der Architekt der Dresdner Semperoper, welche 1838 erbaut wurde) sowie der Anarchist und Baumeister Serguei Bakunin, beides auf ihre Weise Gründerväter der Bayreuther Festspiele.

MVRW-Theatre-Riga-300x218-1Zur Verwirklichung seiner künstlerischen und politischen Ideale stützt sich Wagner auf seine Erfahrung.

Seine Stelle als Musikdirektor und Orchesterchef der deutschen Oper in Riga (1837 – 1839) hat es ihm in der Tat erlaubt, eine Bühne kennenzulernen, die seinem theoretischen Ideal sowohl von der Architektur des Raumes als auch von der der Bühne her entsprach.

*So entdeckt er dort ein Theater, das sich während der Vorstellungen komplett im Dunkeln befindet, was zu der Zeit äußerst ungewöhnlich ist;

*Der Konzertraum selbst hat die Form eines Amphitheaters und nicht die eines italienischen Theaters;

*Der Orchestergraben wird zur Hälfte von der Bühne bedeckt;

Sieht man sich das Operngebäude der Bayreuther Festspiele an, müssen diese Übereinstimmungen mit dem Theater in Riga einfach auffallen.

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1863 erklärt der Komponist und Dramaturg erstmals im Vorwort der ersten Ausgabe des Rings des Nibelungen seine Vorstellung des optimalen Rahmens, in dem das „Werk seines Lebens“ aufgeführt werden sollte. Ein Konzept, das er bereits 1848 eher formlos erwähnt. Der Wille Wagners ist es, die „Oper der Zukunft“, ein Gesamtkunstwerk, zu schaffen.

Bleibt „nur“ noch, den Ort und die Finanzen für ein solches Projekt zu finden !

2. Die Zeit der ersten Projekte

220px-Wagner_Ludwig-2Als die Partitur zum Ring des Nibelungen nach jahrelanger Arbeit Ende 1860/Anfang 1870 fertiggestellt ist, ist Richard Wagner die Unterstützung des vermögenden und großzügigen bayerischen Königs Ludwig II. sicher und der Komponist ist sich im Klaren darüber, dass ihm der Monarch dabei helfen wird, die Welt der Oper, ja vielleicht sogar die der Kunst, zu revolutionieren.

Mit einer gewissen Beharrlichkeit – ja fast schon regelrechter Besessenheit – schafft es Wagner, den jungen König davon zu überzeugen, dass für sein großes Werk, den Ring des Nibelungen, ein Neubau notwendig ist, der sich künstlerisch und architektonisch von bisherigen Bauten abhebt.

Damit sein – sicher etwas größenwahnsinniger – Traum in Erfüllung geht, zögert Wagner nicht, Ludwig II. regelmäßig mit seiner Idee vom Bau eines modernen Theaters zu „bearbeiten“ und ihm zu vermitteln, dass eine solche Konstruktion, welche mit allen architektonischen und sozialen Konventionen der Zeit brechen würde, auch dem König zu Ruhm verhelfen würde. Ein solches Bauwerk sei geradezu wie geschaffen dafür, um sich in die Fußstapfen seines Ahns Ludwig I. zu begeben! Mit einem solchen Bau werde er zu einem aufgeklärten Monarchen, einem Herrscher, der als Erbauer und Erneuerer gelte.

In München steht der bayerische König Ludwig II. bereits zurecht für diese Modernität der Künste, des Denkens und der Architektur. So war Modernität schon immer ein Steckenpferd der Wittelsbacher. Der Vater Ludwig II., Maximilian II. von Bayern, ein würdiger Nachfahr Ludwig I., hatte zu seiner Zeit – nämlich 1853 – den Bau des Glaspalasts, eines großen Ausstellungsgebäudes, beschlossen, dessen Vorbild der Crystal Palace in London war und der 1931 durch Brandstiftung zerstört wurde, so dass davon nichts mehr übriggeblieben ist. Der Glaspalast wurde in München im Alten Botanischen Garten erbaut, um dort im Jahr 1854 die Erste Allgemeine Deutsche Industrieausstellung zu beherbergen.

Als Nachfahr von Königen, die für viele Bauten verantwortlich waren, gefällt Ludwig II. die Wagnersche Idee eines Festtheaters zur Aufführung eines außergewöhnlichen Werks. Bereits 1864 setzt sich der Monarch mit der Vorstellung auseinander, in der Haupthalle des Glaspalasts ein provisorisches Theater errichten zu lassen. Die Pläne für dieses Vorhaben vertraut er dem Architekten Gottfried Semper, dem ehemaligen Waffenkumpanen Richard Wagners, an.

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MVRW-Herrenchiemsee-Projet-Festspielhaus-Glaspalast-300x224Bei der Analyse dieses Projekts stößt man auf Vorstellungen von Wagner, wie sie später beim Bau des Bayreuther Festspielhauses verwirklicht werden.

Das Theater weist die Form eines Parallelepipeds auf und ist wie ein weitläufiges Freilichttheater mit ansteigend amphitheatralisch angelegten Sitzreihen, an deren Ende sich Logen, in der Mitte die Königsloge, befinden, geplant. Es handelt sich also quasi um ein Bayreuther Festspielhaus der frühen Stunde.

Angeregt durch Wagner, welcher auf die Verwirklichung seiner Träume hofft, gewinnt das Vorhaben immer mehr an Größe, so dass man sogar darüber nachdenkt, das Sempersche Festtheater nicht im Glaspalast zu bauen, sondern es für den Schützling des Königs vielmehr in der Verlängerung der Maximilianstraße an den Ufern der Isar zu errichten. Nichts ist zu viel, so es den Wünschen des Komponisten Genüge leistet!

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Leider wird aus dem Vorhaben jedoch… nichts. Die wenig genügsame Art des Meisters führt nämlich dazu, dass er sich die Antipathie des Volkes zuzieht und dem verzweifelten König am 18. Dezember 1865 nichts anderes übrigbleibt, als ihn in Ungnade fallen zu lassen. Der Bau des Münchner Festtheaters beginnt 1868, wird aber noch im selben Jahr eingestellt. Ludwig II., Wagner und Semper haben die Botschaft von bayerischem Volk und Hof des Monarchen verstanden: Wenn wirklich gebaut werden soll, dann nicht in München!

hqdefault-1-300x225-1Vom bayerischen König Ludwig II. ist allgemein bekannt, dass er Wagner gegenüber nicht nur ein wahrer Freund war, sondern ihn auch über alle Maßen bewunderte. So versucht er Wagner auch weiterhin zu helfen und nimmt dafür die Feindschaft und die Verärgerung seiner Minister in Kauf, die lediglich die nicht enden wollenden Ausgaben des Königs zugunsten Wagners sowie eines Traumes sehen, der Monarch und Komponist angeblich gemein ist. Mit der Zeit kommt es jedoch aufgrund der jeweiligen persönlichen Ziele und Vorstellungen zu einem größeren Problem: Ludwig II. würde eine provisorische Holzbühne am Ufer eines Sees – z. B. in der Schweiz oder in der Füssener Gegend, in der auch die extravaganten Schlossbauten des Königs (Neuschwanstein, Linderhof…) stehen –  ausreichen. Ein netter romantischer und auch etwas egoistischer Traum, der den Komponisten, welchem nach Anerkennung gelüstet, keineswegs zufriedenstellt.

Dieser träumt in seinem fernen Exil im Schweizer Tribschen, wo er sich mit seiner neuen Partnerin Cosima, der Tochter von Franz Liszt, befindet, immer noch von seinem eigenen Theater…

NC/SB

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