BAYREUTH – KAPITEL II

II. EIN AUSSERGEWÖHNLICHES THEATER
FÜR EIN
AUSSERGEWÖHNLICHES WERK

 1- München / Bayreuth:
Vorhaben, Fürsprecher und Kräftemessen
zwischen einem Künstler und seinem Mäzen

Wie sieht’s bei alldem eigentlich mit dem Werk aus? Wenn sich nämlich alles um Bauten, Architektur, ein zukünftiges Festspielhaus geht, dann doch nur, damit dort ein bestimmtes Werk, Der Ring des Nibelungen, aufgeführt werden kann. Wie weit ist die Partitur vorangekommen?

Nachdem sich König Ludwig II. schweren Herzens dazu gezwungen sah, seinen teuersten Freund außerhalb Münchens zu verbannen, packt ihn selbst die Ungeduld. Was eigentlich macht der Komponist, der die Person des Siegfried – nicht die Oper selbst – 1857 einfach so im Wald stehen ließ, um sich ganz der Arbeit an Tristan und Isolde zu verschreiben?

Wagners_autograph_of_Rheingold-215x300Zwischen Richard Wagner und Ludwig II. von Bayern nimmt ein Kräftemessen, eine Manipulation und sogar eine Erpressung den Anfang, wie sie in der Musikgeschichte so nie da war. Im Jahr 1864 hatte Wagner in der Tat die Aufführungsrechte am Ring des Nibelungen dem König überlassen. 1869 allerdings hat der Komponist dem Monarchen noch nicht mehr geliefert als die zwei ersten Teile seines Rings, nämlich Rheingold und Die Walküre. Ludwig II. wartet also auf die Fortsetzung. Da es für Wagner jedoch nicht in Frage kommt, eine einzige Oper des Rings aufführen zu lassen, solange die entsprechenden Bedingungen, die er dem König vorgeschrieben hat, dafür nicht erfüllt sind, ist er nicht bereit dazu, den Ring des Nibelungen zu beenden. Zumindest liefert er ihn jedenfalls nicht. Dem Traum Ludwig II. Genüge leisten! Da soll der Monarch seinem Ausnahmewerk doch erst einmal ein Theater bauen, das diesen Namen auch verdient! Als das Bauvorhaben für das Festtheater im Jahr 1868 annuliert wird, schaltet Wagner bei der Komposition der Musik für Siegfried und Götterdämmerung einen Gang zurück, weil er nicht wirklich sehen könne, wofür sein großes Werk letzten Endes bestimmt sei.

MVRW-RHEINGOLD-MUNICH-1869-189x300In einem „Versöhnungsbrief“ im Frühjahr 1869 erklärt der König dem Komponisten, dass er Rheingold in München zur Aufführung bringen wolle. Wagner ist zugleich erstaunt und überaus wütend, obwohl er eine derartige Reaktion eigentlich zu diesem oder aber einem späteren Zeitpunkt hätte erwarten müssen.

Viel tun kann der Künstler aber nicht, da er die Aufführungsrechte an seinem Werk dem König aufgrund seines ewigen Geldmangels gegen klingende Münze überlassen hat. So kommt es schließlich, wie es kommen muss: Die ersten beiden Opern des Rings des Nibelungen werden in Abwesenheit des entsetzten Komponisten in München aufgeführt, wobei die Uraufführung von Rheingold am 22. September 1869 (Judith Gautier berichtet über dieses Ereignis, bei dem sie dabei war) und die der Walküre am 26. Juni 1870 stattfindet.

Erwähnt sei, dass Orchesterchef Hans Richter sich aus Treue zu Richard Wagner weigert, die Uraufführung zu dirigieren.

Wagner wiederum gerät von nun an in Zugzwang, da er nicht möchte, dass ihm das entgleitet, was ihm von seinem Ring noch bleibt. Er muss nunmehr unbedingt einen Ort außerhalb Münchens finden, an dem er den Ring des Nibelungen zur Aufführung bringen und sich so über seine Verpflichtungen dem bayerischen Herrscher gegenüber hinwegsetzen kann.

images-6-1In der Villa in Tribschen werden in kleiner Runde mehrere deutsche Theater erwähnt. Die Aufmerksamkeit von Hans Richter und Cosima zieht schließlich die Bühne des Markgräflichen Opernhauses im fränkischen Bayreuth auf sich, welche es Wagner erlauben würde, sich der Münchner Rechtssprechung zu entziehen und nicht mehr im Blick des bayerischen Königs zu stehen.

Am Abend des 5. März 1870 notierte Cosima Wagner in ihr Tagebuch: „Nach Tisch spreche ich vom Hund, welchen Tristan Isolde geschenkt, und Petit crin macht uns – von R. vorgelesen – den allermächtigsten Eindruck. Abends Walküre. Wie wir nachher von der Aufführung dieser Dinge sprechen, sage ich R., er solle doch im Conversationslexikon nachschauen, Artikel Baireuth; diesen Ort hatte R. genannt als den, den er wählen wollte, zu unsrer Freude lesen wir unter den Gebäuden ein prachtvolles altes Opernhaus darin aufgeführt!“ (Cosima Wagner, Tagebuch, 5. März 1870)

MVRW Theatre des MargravesDas Ende der Reise, die das Ehepaar Wagner im April 1871 nach Bayreuth unternimmt, prägt jedoch eine große Enttäuschung: Das von ihnen auserkorene Märkgräfliche Opernhaus mitten im Zentrum der Stadt Bayreuth bietet zwar mit einer Tiefe von 72 Metern die große Bühne, die sie suchen, doch handelt es sich hierbei um ein Rang-Logen-Theater nach italienischem Vorbild, welches ferner auch mit seiner Rokokovergoldung in totalem Gegensatz zu den künstlerischen und philosophischen Vorstellungen Wagners steht.

Die Stadtoberen sind durch das Interesse, das der berühmte Komponist ihrem kleinen Ort entgegenbringt, jedoch dermaßen bewegt, dass sie ihm bereits am 7. November 1871 einen Baugrund anbieten. Eine Gelegenheit, die zu gut ist, um auch nur einen Moment zu zögern, ist es Wagner so doch möglich, sich sowohl dem Einfluss Ludwig II. als auch dem Bismarcks zu entziehen, ohne allerdings darauf zu verzichten, beide für den Bau und die Organisation der Festspiele um ihre finanzielle Unterstützung zu bitten! Der Komponist hofft nämlich in der Tat, dass die Stadt Bayreuth aufgrund ihrer guten geografischen Lage, wenn die Wogen um ihn einmal geglättet wären, ein wirklich ausgesuchtes Publikum anziehen würden.

Das Ehepaar Wagner fasst so recht schnell den Plan, in Bayreuth Festspiele ins Leben zu rufen und dort ein Theater zu erbauen, zumal die Stadtoberen (und insbesondere der Bürgermeister Theodor Muncker) ihr Vorhaben aufs Wärmste begrüßen und dem Komponisten auf einem Hügel, der Bürgerreuth, Bauland zur Verfügung stellen. Wen kümmert es da, dass es sich dabei nicht um dasselbe Grundstück handelt, das dem Paar noch im November des gleichen Jahres versprochen worden war! Kosten soll das Ganze 14 000 Gulden, wobei der Vertrag am 15. Dezember 1871 unterschrieben wird. Bleibt nur noch, die Oper des Jahrhunderts zu erbauen!

 

2- Finanzierung des Projekts und Suche nach den Künstlern:
Vorbereitungen für die restent Bayreuther Festspiele

13340-300x200Die Frage, die sich von nun an stellt, ist die der Finanzierung. Trotz vieler Unsicherheiten und möglicher Unwägbarkeiten, trotz aller sich nicht öffnen wollender Türen und Geldbeutel behält der Traum nämlich die Oberhand. Ein Vorhaben in dieser Größenordnung ohne die entsprechende Finanzierung in Angriff zu nehmen ist es letztlich, was den Komponisten gleichzeitig so genial und auch so verrückt erscheinen lässt!

Unterstützt wird Wagner lediglich von der Stadt Bayreuth, welche sich dazu bereit erklärt hat, ihm beim Bau eines gänzlich neuen Theaters zu helfen, indem ihm zwei Grundstücke angeboten werden. Eines für den Theaterbau und ein weiteres für sein Wohnhaus, die Villa Wahnfried. Ehrwürdige bekannte Persönlichkeiten der Stadt, der Bankier Friedrich Feustel sowie Bürgermeister Theodor Muncker, helfen dem Komponisten von Herzen. Vielleicht hoffen sie auch, dass Wagner ihrer unbedeutenden Kleinstadt zu Rang und Namen verhilft? Für ein so großes und ambitioniertes Projekt bleibt die Unterstützung insgesamt jedoch zaghaft, so dass Wagner und seine Freunde noch sehr viel Energie werden aufwenden müssen, bis für die Verwirklichung ihres Traums die entsprechenden Geldmittel zur Verfügung stehen.

zpage130-249x300Schließlich versucht es Wagner ein paar Etagen höher. Seine erste Audienz bei Bismarck am 3. Mai 1872 ist allerdings ein Misserfolg. Das Kanzleramt schiebt vor, nicht mit dem bayerischen König in Konflikt kommen zu wollen.  Etwas später äußert der Kanzler, welchen die Persönlichkeit sowie der Ehrgeiz Wagners sicherlich amüsieren, er habe noch nie einen Menschen mit einem solchen Selbstbewusstsein getroffen.

Der Streit mit Ludwig II. von Bayern jedoch ist immer noch nicht beigelegt.

In Anbetracht der Tatsache, dass sich bei Bismarck keine Türen öffnen, ist Wagner sehr schnell klar, dass er bei der Umsetzung seiner Pläne auf die finanzielle Unterstützung privater Mäzene bauen muss.

Glücklicherweise finden sich jedoch bereits Ende April 1871 genügend Wagnerfans, welche bereit dazu sind, das Vorhaben des Komponisten zu unterstützen. Um sich deren Hilfe zuzusichern, ruft der Komponist in Berlin in der Form eines Patronats ein erstes Unterstützungskomitee ins Leben. Nach dem Besuch in Bayreuth sowie einiger erfolgloser und daher abgebrochener Versuche begibt sich das Ehepaar Wagner am 25. April 1871 nach Berlin, um dort die gesetzlichen und finanziellen Angelegenheiten zu regeln.

MVRW TAUSIG CarlUnterstützung unterhält es dort vom jüdischen Pianisten Karl Tausig, einem treuen und recht nahen Freund des Meisters. Mit seinen 29 Jahren und seinen polnischen Wurzeln ist Tausig ein begeisterter Wagnerianer, welcher nicht damit zögert, zahlreiche Male in der Öffentlichkeit als Redner aufzutreten, um dem Werk Wagners durch Konferenzen, Konzerte und populäre Reden zu Bekanntschaft zu verhelfen. Dank des Dynamismus dieses Wagnerianers der ersten Stunde kommt es schließlich zur ersten Gründung eines Patronatsvereins.

So ist es möglich, 1 000 Aktien zu je 300 Taler zu erstehen, wobei die Dividende jeder einzelnen Aktie lediglich im exklusiven Besuch von Vorstellungen des Rings des Nibelungen besteht und der Verwaltungsrat des Patronatsvereins sich aus folgenden Mitgliedern zusammensetzt: Friedrich Feustel, Adolph Gross, Theodor Muncker aus Bayreuth, Emil Heckel aus Mannheim und Friedrich Schoen aus Worms.

Zusätzlich zum offiziellen Berliner Verein entstehen Zirkel von Wagnerianern/Wahnfried-Zirkel/WagnerzirkelÜberall in Europa tragen Wagnerianer der ersten Stunde sowie andere Personen, die sich für das Vorhaben begeistern, ihr Scherflein zum Bayreuther Theaterbau bei und hoffen dabei insgeheim, an dem teilhaben zu können, was als ein noch nie dagewiesenes künstlerisches Erlebnis angepriesen wird.

Unknown-14-1So zögert der sehr schlaue Emil Heckel nicht, zu betonen, dass auch eine größere Zahl an Musikfreunden oder Neugierigen, die sich nicht in der Lage sehen, jene 300 Taler auszugeben, auch eine Summe investieren kann, die ihrer eigenen finanziellen Situation entspricht.

Der Verwaltungsrat, welcher nunmehr zum Vorstand des Patronatsvereins geworden ist, regt außerdem nicht nur zur Gründung von Wagnerzirkeln in Deutschland, sondern in der ganzen Welt (Frankreich, Russland, Holland, Belgien, Schweden, England, Italien, Ägypten, USA) an und leistet hierbei auch Hilfe.

Aufgabe dieser Zirkel ist es, – seien sie auch noch so bescheiden – Beträge für eine dreimalige Aufführung des Rings des Nibelungen zu bekommen. Ziel ist nämlich, dieses riesige Wagnersche Werk gleich in den ersten Jahren dreimal in seiner Integralität zur Aufführung zu bringen. Warum ausgerechnet dreimal? Gründe sind zum einen die Rentabilität des Projekts, zum anderen rechnet man aber auch mit einer großen Menge an potenziellen Zuschauern, die der Realisierung des Traums beiwohnen und zufriedengestellt werden möchte.

Der frühe Tod Karl Tausigs, dem rechten Arm Wagners, welcher zum Theaterbau in Bayreuth sehr viel beigetragen hat, lässt den Komponisten in tiefe Trauer versinken. Wagner ist vom Verlust seines „Waffenbruders“ dermaßen betroffen, dass er ihm am 17. Juli 1871 ein besonders bewegendes Epitaph widmet.

Den Vorstand des Patronatsvereins übernimmt nunmehr die Gattin des preußischen Ministers Alexandre von Schleinitz, Maria von Schleinitz. Als Zeitpunkt für die Festspiele wird immer noch – mit viel Optimismus – der Sommer 1873 anvisiert. Während einer Pressekonferenz in Leipzig am 12. Mai 1872 verkündet Richard Wagner feierlich, dass die erste Ausgabe der Opernfestspiele 1873 stattfinden wird. Vorgesehen wird für 1873 in Bezug auf die Ästhetik des Gebäudes und Komfort der Zuschauer nur, was absolut notwendig ist.

Die Finanzierung ist jedoch noch nicht völlig gesichert. Um an weitere Geldmittel zu gelangen, entschließt sich Wagner ein weiteres Mal zu einer Konzertreise. Auf der Tournee, welche ihn letzten Endes über Leipzig, Frankfurt, Darmstadt und auch Heidelberg bis nach Tribschen führt, kommt es zu einer großen Reihe an Begegnungen, Lesungen, Konferenzen, Empfängen, die alle nur eines zum Ziel haben: von seinem Projekt zu überzeugen.

Die Grundsteinlegung des neuen Theaterbaus findet am 22. Mai 1872, dem Geburtstag des Meisters, statt. Wagner bei der Grundsteinlegung: „Sei gesegnet du Stein, bleibe für lange Zeit fest und halte gut“.

 Zur gleichen Gelegenheit dirigiert Wagner ein Konzert im Markgräflichen Opernhaus, bei dem die Neunte Sinfonie von Beethoven gespielt wird.

Trotz aller Mühen und Anstrengungen des Meisters, seiner Cosima und der ergebenen Freunde der beiden kommt jedoch nicht genügend Geld herein. Folglich können die ersten Opernfestspiele nicht im Jahr 1873 stattfinden. Wagner versucht ein weiteres Mal vergeblich, den Kaiser für sein Projekt zu gewinnen. Um an Geld zu kommen, komponiert der Meister für 5 000 Dollar einen feierlichen Marsch zur Eröffnung der hundertjährigen Gedenkfeier der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Nordamerika, ferner einen Festmarsch zur Eröffnung der Weltausstellung in Philadelphia im Jahr 1876, welcher ihm mit 25 000 Franken bezahlt wird. Bankier Feustel drängt ihn zu weiteren Konzerten.

Obwohl alle Beteiligten guten Willens sind, reicht das Geld jedoch noch immer nicht. Im Frühjahr 1873 sind lediglich 340 Subskriptionen verkauft, also 130 000 Taler eingenommen. Es fehlen 400 000 Taler. Der schon kranke Nietzsche, der sich immer noch für Wagner und sein Vorhaben einsetzt, verfasst zugunsten von Bayreuth einen Auftrage eines Patronenausschusses einen Aufruf an das deutsche Volk.  Am 30. August 1873 bestätigt Richard Wagner in einer Ansprache an die Abgesandten des Bayreuther Patronats, dass die Vorstellungen des Rings nicht vor dem Sommer des Jahres 1875 stattfinden können.  Als Grund für die Verspätung gibt der Komponist eine unzureichende Finanzierung an. In der Tat drohen die Arbeiter auf der Baustelle damit, den Bau einzustellen.

Was dann folgt, ist ein regelrechter Paukenschlag: König Ludwig II. von Bayern schießt Wagner am 25. Januar 1874 trotz ihres der Vergangenheit angehörenden Streits 100 000 Taler vor: „Nein, nein und wieder nein! So soll es nicht enden! Es muß da geholfen werden! Es darf unser Plan nicht scheitern.”

Richard Wagner antwortet dem König am 3. Februar 1874 in einem Brief, in dem er weder an Dankbarkeit noch an Gefühl spart: „ Oh, mein huldvoller König! Blicken Sie nur auf alle deutschen Fürsten, so erkennen Sie, daß nur Sie es sind, auf welchen der deutsche Geist noch hoffend blickt.”

 Nach einigem Hin und Her kommt es schließlich am 20. Februar 1874 zu einem Vertrag zwischen dem Verwaltungsrat der Bayreuther Opernfestspiele und dem bayerischen Hofsekretariat. Richard Wagner wird ein Darlehen von 100 000 Talern gewährt, welches von ihm und seinen Erben nach und nach mit den Festspieleinnahmen zurückzuzahlen ist.

Am 7. Mai 1874 kann Wagner Muncker und Feustel den Beginn der Opernfestspiele für den Sommer 1876 ankündigen. Am 21. November 1874 wiederum beendet Wagner den dritten Akt der Partitur zur Götterdämmerung und notiert auf der letzten Seite des Manuskripts: „Vollendet in Wahnfried; ich sage nichts weiter !!“

Was auch hätte er noch hinzufügen sollen? Lagen mit dieser ehrgeizigen Partitur zu einem der vollkommensten Libretti der Musikgeschichte doch auch ein Theaterbau vor, der bald das Licht der Welt erblicken würde!

Und die Vorstellung selbst? Wagner ist genauso auf die Szenografie seines Werks bedacht wie auf das Schreiben und Komponieren seines riesigen musikalischen Werks.

Ganz wichtig: Wo finden sich Sänger, die den hohen Anforderungen des Komponisten entsprechen? Zwischen Wagners ersten Werken und Bayreuth sind etliche Jahre vergangen… Tichatschek ist nunmehr 69 Jahre alt, Carolsfeld ist kurz nach der Uraufführung des Tristan verstorben… Wo finden sich mutige, flexible, auf der Bühne glaubwürdige Sänger, die Wagner genügen?

In Begleitung seiner Ehefrau Cosima, welcher man bei der Beurteilung der Qualität von Sängern ein gewisses Urteilsvermögen zugestehen muss, welches vielleicht auf eine musikalische Begabung zurückzuführen ist, die sie von ihrem Vater geerbt hat, nimmt Wagner seine Tour durch deutsche Theater wieder auf, um an dem ein oder anderen einen passenden Künstler für seinen Ring zu finden.

Ihre erste Reise auf der Suche nach Solisten unternimmt das Paar bereits 1872 und reist dabei nach Würzburg, Frankfurt am Main, Mannheim, Darmstadt, Karlsruhe, Mainz, Magdeburg, Dessau und Leipzig gereist. Dabei stößt Wagner auf Franz Diener, einen jungen Sänger, welcher ihn in Köln bei einer Vorstellung von Mozarts Zauberflöte beeindruckt. Ansonsten verläuft die Suche für Wagner jedoch enttäuschend, so dass er nach einem Monat im Essai Ein Einblick in das heutige deutsche Opernwesen eine ernüchternde Bilanz zog. Orchesterchefs und Sänger findet er für eine Aufführung seines Ringes gleichermaßen ungeeignet.  Die Sänger seien allesamt nicht in der Lage dazu, die Partituren des Rings des Nibelungen zu meistern.

Dennoch stechen einige Nahmen in diesen Jahren der „Suche nach dem Gral“ heraus: Karl Hill, der spätere Sänger des Alberich, Franz Betz (Wotan), Franz von Reichenberg (Fafner), Lilli Lehmann (Woglinde und der Waldvogel), Therese Vogl (Sieglinde), Amalie Materna (Brunnhilde) und Emil Scaria (Hunding). Für eine der wichtigsten Rollen, die des Siegfried, findet Wagner zunächst jedoch niemanden. Schließlich wird sie mit Georg Unger besetzt, welcher während der Proben und dann auch während der Vorstellungen den Erwartungen des Komponisten keineswegs genügt und sich insbesondere während der Vorstellungen im Jahr 1876 als eine schlechte Wahl erweist, welche von der Musikkritik seiner Zeit stark bemängelt wird.

Am 15. Januar 1875 unterschreibt Wagner das Rundschreiben, mit welchem die Künstler dazu eingeladen werden, sich im folgenden Sommer zwecks erster Proben im Bayreuther Festspielhaus einzufinden. Als Gage sollten diese lediglich eine Aufenthaltsentschädigung bekommen, da die Finanzierung durch Patronatsverein und die Wagnerschen Firmen unzureichend waren. Die Sänger traten in Bayreuth also nicht aus finanziellen Gründen auf, sondern aufgrund der „Ehre“, dorthin gerufen worden zu sein. Eine Tradition, die sich bis heute fortsetzt.

108 Musiker aus verschiedenen deutschen, österreichischen und niederländischen Ensembles sind wiederum Teil des Orchesters und bekommen lediglich eine kümmerliche Bezahlung. Der für den Ring ausgewählte Orchesterchef wird eingeladen, eine Tradition, die auf dem Hügel ebenfalls lange bestehen blieb.

Am Sonntag, den 1. August 1875 liegt viel Spannung in der Atmosphäre. Zum ersten Mal ist der „Nibelheim“, der mystische Graben, in dem das Orchester spielt, zu hören. Die Magie der Akustik wirkt. Laut der an diesem Tag von Karl Heckel angefertigten Notizen soll Wagner dazu gesagt haben, dass er sich das Ergebnis genau so vorgestellt habe.

Die Proben des Orchesters beginnen am 2. August 1875. Auf einer noch völlig entblößten Bühne (das Bühnenbild von Joseph Hoffmann folgt erst  im darauffolgenden Jahr) erklingt der Gesang der drei Rheintöchter. Wagner setzt weiter auf sein Realismusideal, welches mittlerweile zu einer Obsession des Komponisten geworden ist, und weiht die Sänger in das Bühnenspiel ein, indem er nach und nach jede einzelne Rolle mimt und singt. Realismus, Realismus, Realismus!

Den Komponisten selbst holen die finanziellen Sorgen jedoch immer wieder ein. Ein Jahr vor der ersten Ausgabe der Festspiele hat das Defizit bereits eine enorme Höhe erreicht. Wagner strengt sich an. So kommt es sowohl in Deutschland als auch im Ausland zu zahlreichen Konzerten, mit deren Hilfe die Festspiele finanziert werden sollen. Außerdem spart der Unternehmer Wagner nicht gerade an Ausgaben zu Werbezwecken. So gibt er in der Villa Wahnfried Empfänge, festliche Abendessen, zu denen insbesondere die Künstler eingeladen werden und aufgrund derer es zum ersten Mal zu einer Unstimmigkeit mit Cosima kommt sowie am 13. August 1875 während einer Garden Party zu einem Eklat mit dem Tenor Albert Niemann, dem zukünftigen Siegmund. Für Cosima sind die Ausgaben im Vergleich zu den Einnahmen aus dem Patronatsverein und den Wagnerschen Unternehmen beträchtlich und unverhältnismäßig.

Im Oktober 1875 bittet Wagner den Kaiser für die erste Ausgabe der Festspiele um ein Darlehen in Höhe von 30 000 Talern. In Übereinstimmung mit Bismarck ist der Kaiser dazu bereit, die Festspiele zu subventionieren, wenn dies ganz offiziell vom Reichstag vorgeschlagen wird. Als Wagner davon erfährt, zieht er seine Anfrage zurück. Seine Unabhängigkeit ist ihm lieber. Trotz dieser „kleinen finanziellen Probleme“, aufgrund derer man sich fragen kann, ob der Wagnersche Enthusiasmus letztlich darunter leiden wird oder nicht, steht ein Festspielhaus da, sind Künstler vorhanden und ist für den Sommer 1876 ein Festival vorgesehen, das für ein großes Publikum vorgesehen ist, das dieses Abenteuer sicher in Erstaunen versetzen wird.

NC/SB

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