BAYREUTH – KAPITEL V

V. BAYREUTH À LA WINIFRED WAGNER
UND… ADOLF HITLER

Unter Winifred Wagner vermischt sich die Geschichte der Bayreuther Festspiele mit der großen Geschichte ihrer Zeit. Kunst ist nicht mehr allein nur für sich da, sie wird aufgrund einzelner Personen und deren besonderer Sympathien und ideologischer Ansichten zu Politik.

In seinem Werk Le Festival de Bayreuth zieht Pierre Flinois (Sand, 1989, Fr) Parallelen zwischen der Persönlichkeit Winifreds und der von Cosima. Beide hatten eine andere Nationalität, waren verwitwet und erbten die Festspielleitung. Beide überlebten ihre Männer um mehrere Jahrzehnte. Ähnlichkeiten, zu denen eine starke Persönlichkeit, eine bedingungslose Liebe zum Werk Richard Wagners sowie eine kompromisslose Achtung von Tradition hinzugefügt werden kann. Eine Tradition, die nicht zulässt, dass das Werk Richard Wagners verändert wird, was eigentlich der Intention des Komponisten genau zuwiderläuft.

1. Winifred Wagner

Winifred Marjorie Williams, die spätere Frau von Siegfried Wagner, ist die Wagnersche Welt nicht völlig fremd. Geboren wird Winifred am 23. Juni 1897 in Hastings als Tochter von John Williams, einem walisischen Schriftsteller und Theaterkritiker, und von Emily Florence (Karop) Williams. Sie hat somit die englische Staatsbürgerschaft. Mit zwei Jahren wird sie Waise und von Heim zu Heim weitergereicht, bis sie schließlich von einer entfernten deutschen Cousine, der Ehefrau von Karl Klindworth, einem ausgezeichneten Pianisten, Komponisten und Schüler von Franz Liszt aufgenommen wird. Bekannt ist Klindworth für seine Klavierauszüge zum Werk des Meisters von Bayreuth.

Die junge Winifred, die im Übrigen in Anspielung auf den Fliegenden Holländer Senta gerufen wird, begegnet Siegfried zum ersten Mal, als sie gerade einmal 17 Jahre und er bereits 45 Jahre alt ist, und heiratet ihn 1915, mitten im Ersten Weltkrieg. Siegfried ist eingefleischter Homosexueller, sieht aber in der lebendigen und frischen Persönlichkeit Winifreds (vermutlich genauso wie Ludwig II. von Bayern, der eine Zeitlang darüber nachdachte, Sophie, die Schwester seiner Cousine Sissi zu heiraten) vermutlich seine Chance, eine gewisse Last und einen gewissen Fluch von sich zu nehmen. Für den gesamten Wagner-Clan jedenfalls ist diese Heirat wie eine Erlösung von einer Last, über die niemand öffentlich zu reden wagte.

Unknown-17Nur einige Monate nach der Heirat ist die Abstammungslinie dann am 5. Januar 1917 mit der Geburt von Wieland gesichert. Ein „Sieg“! Nach Wieland erblicken 1918 Friedlind, 1919 Wolfgang und 1920 Verena das Licht der Welt. Winifred kommt nicht nur ihren Pflichten als Hausherrin überaus perfekt nach, sondern dient ihrem Ehemann Siegfried auch als kostbare Assistentin, indem sie gleichzeitig in seinem Schatten bleibt.

Winifred ist – im Gegensatz zu ihrem Mann, der bisweilen auch bei Besuchen abwesend wirkt – eine gute Gastgeberin und empfängt auch Angehörige der NSDAP. Adolf Hitler ist einer davon. Den zukünftigen Kanzler empfängt sie ab 1923 in Wahnfried. Anschließend auch Joseph Goebbels, dessen rechte Hand. Da sie die Überzeugungen des Nationalsozialismus teilt, tritt sie schon im Jahr 1926 in die NSDAP ein. Zu jener Zeit empfängt sie Hitler, der einen fast schon fanatischen Wagnerkult pflegt, in aller Einfachheit. Hitler teilt den Alltag der Familie Wagner, wird zunächst ein regelmäßiger Gast und schließlich sogar ein Vertrauter der Familie. Wieland und Wolfgang nennen diesen seltsamen Fremden sogar „Onkel Wolf“.

Wolfgang-Wagner-with-Wieland-Wagner-and-Adolf-Hitler-660x349

Siegfried ist während dieser bizarren Treffen, denen Winifred vorsteht und in denen es zu einer beunruhigenden Vermischung von Kunst und Politik kommt, immer häufiger abwesend. Die Beziehung zwischen Winifred und Hitler wiederum wird dermaßen eng, dass man vermuten muss, dass es zwischen den beiden sogar zu einer Liebesbeziehung kam.

Zeugen oder Beweise gibt es hierfür jedoch nicht. Als Hitler 1924 nach seinem gescheiterten Putschversuch in München im Landsberger Gefängnis sitzt (eine Verurteilung wegen Landesverrates, für die er eigentlich statt einer Mindeststrafe von fünf Jahren lebenslänglich hätte bekommen müssen), empfängt er fast 300 Besucher und schreibt dort Mein Kampf auf Papier, das ihm Winifred schickt… Von seiner Haftstrafe verbüßt er im Übrigen nur wenige Monate und das in einer eher komfortablen Umgebung…

 

2. Bayreuth im Dritten Reich:
Glanz und Trauerspiel

Siegfried stirbt am 4. August 1930.  Testamentarisch hatte Siegfried Wagner verfügt, daß seine damals 33 Jahre alte Frau die Festspiele fortführen sollte: „Stirbt Herr Siegfried Wagner vor Frau Winifred Wagner, so hat folgende Erbfolge Platz zu greifen: 1.Frau Winifred Wagner wird Vorerbin des gesamten Nachlasses des Herrn Siegfried Wagner. Als Nacherben werden bestimmt die gemeinsamen Abkömmlinge der Ehegatten Wagner zu gleichen Stammteilen. Die Nacherbfolge tritt ein mit dem Tode oder mit der Wiederverheiratung der Frau Winifred Wagner. (…) 2.Die Erben erhalten bezüglich des Festspielhauses folgende Auflage: Das Festspielhaus darf nicht veräußert werden. Es soll stets den Zwecken, für die es sein Erbauer bestimmt hat, dienstbar gemacht werden, einzig also der festlichen Aufführung der Werke Richard Wagners.”

Ein Satz, der eigentlich zu keiner Polemik führen sollte! Eva, die Tochter von Richard und Cosima Wagner, das Enfant terrible der Familie und verheiratet mit Houston Chamberlain, versucht jedoch, ihren Anteil zu bekommen.

MVRW-WAGNER-Winifred-Tietjen-Parsifal-1934-Bayreuth-300x246Am 18. Januar 1931 unterzeichnen Winifred Wagner, Wilhelm Furtwängler und Heinz Tietjen, einen Vertrag, in dem sie sich die administrative, musikalische und künstlerische Leitung der Festspiele teilen.

Indem Winifred Furtwängler, der seit 1922 Direktor des Berliner Philharmonischen Orchesters ist, und Heinz Tietjen, welcher seit  1925 als Intendant an der Staatsoper wirkt, mit an Bord holt, versucht sie, Gegner zum Schweigen zu bringen, die ihr vorwerfen, dass sie nicht in der Lage sei, sich allein um das Erbe ihres Mannes zu kümmern.

Mit Furtwängler und Tietjen an der Seite kann Cosima sich behaupten.

Obwohl Winifred sich immer gegen den Vorwurf gewehrt hat, ihre persönlichen Überzeugungen mit der Verwaltungsleitung der Festspiele vermischt zu haben, spiegeln sich in vielen ihrer Entscheidungen nationalsozialistische Ideen. So werden jüdische Sänger beispielsweise nach und nach vom Grünen Hügel ausgeschlossen. Hitler, welcher nunmehr in Deutschland das Sagen hat, ist in Bayreuth nicht nur einfach Gast, sondern regelrecht Zeremonienmeister. Die Bayreuther Festspiele verkommen dabei zu einem Schaufenster germanischer Kunst, wie sie vom Nationalsozialismus gefeiert wird.

1931-furtwangler-toscanini-bayreuth-b-300x211Zwischen 1933 und 1939 erfindet Winifred die Festspiele neu, indem sie die Inszenierungen überarbeitet.

Allein der Tannhäuser ihres verstorbenen Mannes Siegfried bleibt, wie er ist, und hält so der vorherrschenden Ideologie stand, da er bereits ein hohes Maß an Modernität aufweist. Durch Heinz Tietjen und seinen Bühnenbildner Emil Preetorius kommt es zu geradezu umwerfenden Inszenierungen, die Bayreuth zu frischem Wind aus Berlin verhelfen.

Die von Winifreds Schwägerinnen Eva und Daniela angeführte Nachhut des Wagner-Clans aber ist nicht zufrieden. Tietjen besitzt jedoch einen Geschmack für Grandioses, für Zelebrationen, Kulte und Protz, der es schließlich schafft, dem ein oder anderen zu gefallen. Menschen, die letztlich von jenem frenetischen Elan erfasst werden, der die Massen 1936 bei den Olympischen Spielen in Berlin sowie bei den Paraden in Nürnberg ergreift. Allen voran den Führer.

Die Inszenierung in Bayreuth erreicht noch nicht jenes Maß an Moderne und Abstraktion, wie man es später bei Wieland Wagner kennt. Wichtige Schlüsselbegriffe sind jetzt der Gefallen an Grandiosem, große Chöre und musikalische Höchstleistungen.

Dirigiert wird nur von den Besten: Von Furtwängler natürlich, aber auch von Richard Strauss, Karl Elmandorff oder auch Victor De Sabata und Franz von Hoesslin. Ab 1933 übernimmt Heinz Tietjen ferner einen immer größeren Teil der musikalischen Leitung.

Unknown-18Bei den Sängern treten auch nur die besten auf bzw. die besten unter denen, die den Rassegesetzen des Dritten Reiches genügen. Die meisten anderen befinden sich im Exil und verhelfen Covent Garden oder der Metropolitan Opera zu Ruhm. Auf der Bühne in Bayreuth jedoch glänzen blonde Wagnerianerinnen und Wagnerianer: Maria Müller, Franz Volker, Max Lorenz. Mit einigen wenigen Ausnahmen, wie Germaine Lubin, die bei der Befreiung für ihre Isolde oder ihre Kundry teuer bezahlen muss, eine ausschließlich germanische Rollenverteilung.

Nach dem Ausbruch des Kriegs im Jahr 1939 denkt Winifred nur wenige Tage nach der Beendigung der letzten Festspiele an deren Einstellung. Zum ersten Mal widersetzt sie sich Hitler, der möchte, dass die Festspiele bei der weltweiten Verbreitung seines Deutschlandbilds eine zentrale Rolle spielen. Ganz so, als ob nichts wäre!

MVRW-MEISTERSINGER-BAYREUTH-1944-1-300x222Unter dem Spitznamen Kriegsfestspiele, mit denen im Übrigen die Moral der Truppen gestärkt werden soll, indem der germanische Hochmut galvanisiert wird, wird Bayreuth zu einem Propagandamittel.

Mit dem unheimlichen, morbiden Charakter von Tristan und mit der heiligen Messe (welche den Nationalsozialisten eindeutig zu religiös ist) im Parsifal ist es nunmehr vorbei. Aufgeführt werden nur noch Der Ring des Nibelungen, Der fliegende Holländer und Die Meistersinger von Nürnberg.

Eine Verherrlichung des Germanentums (und allen voran des Diktators Hitler selbst), die der Welt wie eine Provokation entgegengeworfen wird.

MVRW-MEISTERSINGER-BAYREUTH-1944-2-300x219Die Festspiele bieten im Hinblick auf Inszenierung und Rollenverteilung nichts Neues mehr. Stattdessen kommt es zu einer Routine, die einem schleichenden Tod gleichkommt. Ab 1943 werden nur noch Die Meistersinger aufgeführt. Offiziell geschlossen ist das Bayreuther Festspielhaus Ende 1944.

Anschließend gerät die Stadt in den Bombenhagel der Alliierten. Das Ende einer Epoche.

Bis an eine Wiederaufnahme der Festspiele gedacht wird, vergehen sieben lange Jahre.

NC/SB

Link zur Bibliografie mit den Quellenangaben

Falls Sie zu diesem Artikel ergänzende Informationen beitragen möchten, kontaktieren Sie uns bitte!