Johanna Rosine PÄTZ

(* 19. September 1774; † 9. Januar 1848)
Ehefrau von Carl Friedrich Ludwig Wagner (dann Ehefrau von Ludwig Geyer)
Mutter Richard Wagners

Die Mutter von Richard Wagner wurde am 19. September 1774 etwa 30 km südwestlich von Leipzig in Weissenfels geboren.

Sie war das sechste (von den überlebenden Kindern das vierte) Kind des Bäckers und Müllers Johann-Gottlob Pätz und seiner ersten Frau Dorothea Erdmuthe, geb. Iglisch, der Tochter eines Gerbers. Als Johanna 14 Jahre alt war, starb ihre Mutter. Ihr Vater heiratete am 28. Oktober 1788 (und im Übrigen auch im Jahr 1795) noch einmal. Obwohl der Bäckermeister sie ganz offiziell als seine Tochter anerkannt hatte, machte Johanna um ihre Herkunft ein Rätsel. So erzählte sie ihren eigenen Kindern, dass ihr Mädchenname Perthes gewesen sei. Diese erfuhren wiederum, dass man den Namen Petz ausgesprochen habe. Richard selbst zögerte zwischen drei verschiedenen Schreibweisen: Pätz, Petz und Beetz[10].

Könnte der Grund hierfür gewesen sein, dass Johanna über die Standesunterschiede, die zwischen ihrer Familie und der ihres Ehemannes bestanden, hinwegtäuschen wollte? Sie gab an, nicht bei ihren Eltern, sondern in einem der besten Internate Leipzigs aufgewachsen zu sein. Diese für eine Handwerkertochter ungewöhnliche Art der Erziehung wäre sicher ohne die Fürsorge einer ranghohen Persönlichkeit, „eines großen Freundes ihres Vaters, eines Weimarer Prinzen, der die Familie sehr unterstützte“, wie Wagner in Mein Leben schrieb [11], nicht möglich gewesen.

Der Tod jenes Freundes habe dazu geführt, dass die Ausbildung von Johanna abgebrochen werden musste. Manche Biografen[12], insbesondere Houston-Stewart Chamberlain (der Ehemann von Eva, der zweiten Tochter von Richard), haben daraus den Schluss gezogen, Johanna Rosine könnte die leibliche Tochter des Prinzen Ferdinand Constantin von Sachsen-Weimar-Eisenach (1758 – 1793), des einzigen Bruders des regierenden Großherzogs und  Förderers von Goethe, Karl August (1757 – 1828) von Sachsen-Weimar-Eisenach, sein. Um eine Vaterschaft des Prinzen Constantin möglicher erscheinen zu lassen, zögerte Chamberlain nicht damit, Johannas Geburtsjahr mit 1778 anzugeben, und zu behaupten, der Stammbaum des Meisters von Bayreuth sei bis zum Beginn des Mittelalters zurückzuverfolgen. Seither konnte – teils aufgrund der Arbeiten von Otto Strobel, dem Bayreuther Archivar und Konservator des Richard-Wagner-Museums der 1930er-Jahre, zweifelsfrei ausgeschlossen werden, dass es sich bei dem Prinzen um Johannas Vater handeln kann. Ferdinand Constantin war bei der Geburt von Johanna nämlich erst 15 Jahre alt und hatte Weimar zur damaligen Zeit nie verlassen… Wie aber war es gekommen, dass man den Prinzen Constantin als möglichen Vater von Johanna ins Spiel brachte?

gregordellin_martin_gross_lpb1981 schrieb Martin Gregor-Dellin, welcher ein großes Talent zum Romancier hatte, in seiner Biografie: „Vielleicht hat die neunzehnjährige Johanna den Dichtern im Gasthof die Morgen-semmeln gebracht. Schon für die Jahre davor, etwa ab 1780 ist Schillers und des Dresdners Körner Aufenthalt in Weißenfels anzunehmen und mit großer Wahrscheinlichkeit auch der des durchreisenden Goethe.

So ist nicht auszuschließen, daß einer von ihnen und durch ihn der Weimarer Prinz Constantin, der für das Theaterwesen seines Landes zuständig war, am Weißenfelser Liebhaber-Theater auf das schauspielerische Talent der anmutigen und schönen Johanna Rosine aufmerksam wurde. 1789 war ihre Mutter im 47. Lebensjahr gestorben.

Wenn Prinz Constantin die kleine Johanna in theaterliebenden Leipzig hätte erziehen lassen, so wäre auch erklärt, warum bei seinem Tode 1793 diese Ausbildung abgebrochen wurde.[13]“ Eine fast schon verstörende Erklärung, da Johanna Rosine keine weitergehende Erziehung zu gehabt haben schien. Die Schule verließ sie nämlich bereits im Jahr 1789. Die Aussagen ihres Sohnes lassen außerdem auf eine mangelnde Schulbildung schließen. So soll ihr Deutsch geradezu erschreckend gewesen sein… Was aber, wenn Johanna weder Tochter noch Schützling des Prinzen von Weimar, sondern einfach seine Geliebte war?

Gregor-Dellin beweist diese These in einem 1985 – also nach seiner Biografie – erschienenen Artikel auf hervorragende Art und Weise, indem er sich auf zahlreiche Dokumente aus dem Archiv des Schatzmeisters des Großherzogs stützt: Neue Wagner-Ermittlungen (Das Geheimnis der Mutter) [14].

Jener Schatzmeister führte nämlich ganz genau Buch über die Pensionen, die an Favoritinnen und Geliebte aus dem Kleinbürgertum sowie deren uneheliche Kinder ausbezahlt wurden. Dabei kam zutage, dass sich der Prinz als Generalmajor des sächsischen Kurfürsten im Jahre 1790 zweimal ziemlich lange in Weissenfels aufhielt, zwischen Juni und September nicht unweit der Bäckerei Pätz. Die Beziehung zwischen dem Prinzen und der Bäckerstochter begann zu jenem Zeitpunkt.

MVRW-Grossherzogtum_Sachsen-Weimar-Eisenach-232x300-1Laut Gregor-Dellin habe Constantin Johanna Rosina mit deren Zustimmung in Leipzig untergebracht und dabei ihren Familiennamen leicht verändert. Sie sei dort nicht in einem Internat untergekommen [15], sondern bei einer gewissen Sophie Friederike Hesse. Constantin habe Johanna Rosina u. a. Geld für Kleidung zukommen lassen und habe wahrscheinlich deshalb für ihren Unterricht gesorgt, damit er eine Mätresse hatte, die über einen gewissen Grad an Bildung verfügte. [16] Nachdem der Prinz in den Krieg gezogen und dort ums Leben gekommen war, überließ man die junge Johanna ihrem Schicksal. (…)

So heiratete Johanna am 2. Juni 1798 Friedrich Wagner. Die Aufeinanderfolge dieser Ereignisse erklärt, warum Johanna in Bezug auf ihren Namen, ihr Alter und ihre Herkunft immer ein Rätsel aufgab. In seiner Autobiografie erwähnt Richard Wagner seine Großeltern mütterlicherseits überhaupt nicht. Fast scheint es, als habe Johanna Rosine mit ihrer Familie in Weissenfels komplett gebrochen. So bot sie ihren eigenen Kindern nie die Gelegenheit, ihre Geburtsstadt, in der sie lediglich Bäckerstochter und Mätresse war, zu besuchen…

Die ersten Monate im Leben von Richard waren vom Tod geprägt. So starb sein Vater im Alter von nur 43 Jahren an Typhus. Ausgebrochen war die Typhusepidemie nach der blutigen Schlacht, die vom 16. bis zum 19. Oktober 1798 in Leipzig stattfand. Da die Krankenhäuser der Stadt nicht alle Verwundeten aufnehmen konnten, drängten diese auch in Kirchen und Schulen. Viele Leichen konnten nicht beerdigt werden und in der Elster schwammen jede Menge Kadaver von Pferden und Menschen. Durch die schlechten hygienischen Zustände, Mangelernährung und das enge Zusammenleben kam es schließlich zu einer Typhusepidemie, welche am 4. November bereits 20 000 Menschen das Leben gekostet hatte. Hoffmann, der während der Epidemie in Dresden war, notierte in seinem Tagebuch verschiedene Symptome (Kopfschmerzen, Schwindel, Erstarrung und nach wenigen Stunden Tod)[18]. Friedrich Wagner, welcher durch die ihm aufgrund des Kriegschaos auferlegten Überstunden sehr müde war, erkrankte ebenfalls und starb am 23. November 1813. Seinem damals nur sechs Monate alten jüngsten Sohn hinterließ er noch nicht einmal ein Bild von sich. Dieser lernt ihn daher nur durch Erzählungen innerhalb der Familie kennen. Johanna wiederum gab in der Leipziger Zeitung eine Todesanzeige auf, in der es hieß, dass ihr Mann aufgrund der Ausübung seiner Pflicht für sie und ihre achte Kinder zu früh verstorben sei [19].

Nach dem Tod des Familienvaters drohte die Familie zu zerbrechen. Johanna Rosine war damals 39 Jahre alt. Sie stand mit ihren Kindern fast völlig allein da. Zur Versorgung ihrer Familie bekam sie lediglich eine kümmerliche Pension, mit der sie drei Söhne und vier Töchter großziehen sollte (1813 war Ottilie zwei, Klara sechs, Luise acht, Julius neun, Rosalie zehn und Albert 14 Jahre alt). Weitere Kinder des Paars waren bereits verstorben: Gustav, geb. im Jahr 1801, im Alter von nur sieben Monaten sowie Theresia, welche am 19./9. Januar 1814 in ihrem vierten Lebensjahr einer Epidemie erlag. Zählen konnte Johanna nur auf die Unterstützung ihrer Schwägerin Friedricke und die ihres Schwagers Adolf, welcher sich völlig von der Welt zurückgezogen hatte. Zur Hilfe kam der Witwe schließlich Ludwig Geyer, der Freund ihres verstorbenen Ehemannes. Zunächst unterstützte er die Familie nur finanziell. Der in Deutschland wiedereingekehrte Friede sowie seine Stelle am Dresdner Hoftheater erlaubten es Geyer dann, Johanna und ihre Kinder bei sich aufzunehmen und sie nach einer recht kurzen Verlobungszeit am 28. August 1814 in Pötewitz bei Weissenfels zu heiraten. Der damals 14 Monate alte Richard hatte so wieder einen Vater und ein Zuhause in Dresden, in dem er sich sicher fühlen konnte. Am 26. Februar 1815 schließlich wurde Cäcilie, die leibliche Tochter von Geyer und Johanna geboren.

von logo_cercle rw Pascal BOUTELDJA

Anmerkungen :
[10] Andere Schreibweisen sind vorhanden.
[11] Richard Wagner, Mein Leben, p. 19
[12] Voir :« The prince Constantin question », in : Ernest Newman, The Life of Richard Wagner. II. 1848-1860,
pp.613-619.
[13] Martin Gregor-Dellin, Richard Wagner. Paris, Fayard, 1981, p.40.
[14] Martin Gregor-Dellin, Ergebnisse der neuesten Recherchen über Wagner. Bayreuther Festspiele Programm
[15] Richard Wagners Mutter erwähnte ihren Kindern gegenüber nie, in welcher Leipziger „Institution“ sie angeblich aufgezogen wurde.
[16] Martin Gregor-Dellin, Résultats de recherches récentes sur Wagner, p.87.
[17] Ibid, p.87
[18] Joachim Köhler, Richard Wagner. The Last of the Titans. London, Yale University Press, 2004, p.9.
[19] Mary Burell Richard Wagner. His Life and Works from 1813 to 1834, p. 16.

 

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