LEBEN I. 1813 in Deutschland

Leben I.
1813 IN DEUTSCHLAND

 

Im Jahr 1813 gehören die deutschen Länder nicht mehr zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, welches 962 von Otto dem Großen gegründet worden war und zu Anfang des 19. Jahrhunderts aus ungefähr 360 unabhängigen – mehr oder weniger großen – Staaten bestand.
Hierzu trugen nicht zuletzt die Napoleonischen Kriege und v. a. Napoleon Bonaparte bei.

Der Reichstag musste den Reichsdeputationshauptschluss und die damit verbundenen territorialen Änderungen durch den Ersten Konsul annehmen, so dass das Reich 1803 nur noch 82 verschiedene Länder zählte.

Als Entschädigungsmasse für die Herrscher Preußens, Bayerns und Württembergs wurden Freie Reichsstädte sowie geistliche Hoch- und Erzstifte ausgewählt. 1804 legt der letzte Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Franz II., die Reichskrone nieder und wird Kaiser Franz I. von Österreich.

Zum Ende des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation kommt es im Jahr 1806.

Auf Initiative Napoleons I. wurde der Rheinbund gegründet, welcher aus den Staaten des südlichen und westlichen Deutschlands bestand und zu deren Protektor sich Napoleon I. erhob.

MVRW Rheinbund

MVRW Friedrich August IDie sächsische Heimat Wagners wurde zu Zeiten des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation von einem Kurfürsten regiert, wobei zwei der Herrscher im 18. Jahrhundert, August I. sowie August II., auch Könige von Polen waren. Mit dem Frieden von Tilsitt erklärte der französische Kaiser den sächsischen Kurfürsten zum König und integrierte das Reich in den Rheinbund. Wagner wird daher am 22. Mai 1813 unter der Regentschaft von Friedrich August I. geboren. Kurz nach diesem Datum wird es so richtig blutig. Nach dem desaströsen Russlandfeldzug geht von Preußen eine antifranzösische Offensive aus. So lässt sich der eigentlich eher zögerliche, aber doch unbeständige Friedrich Wilhelm III. von seiner Gattin, Königin Luise, Staatsmännern, Generälen, Philosophen (Fichte) und Studenten davon überzeugen, am 28. Februar 1813 ein Bündnis mit Zar Alexander einzugehen.

MVRW Bataille des NationsSo kommt es 1813 zu den berühmten Befreiungskriegen, die sich in Sachsen im Wesentlichen – unterbrochen von einem Waffenstillstand und Verhandlungen – in zwei Feldzügen abspielen. Im Frühjahrsfeldzug siegen die französischen Truppen in Lutzen und Bautzen über die russischen und preußischen Verbündeten. Beendet wurde der Frühjahrsfeldzug am 4. Juni 1813 mit einem durch die Vermittlung Österreichs, genauer Metternichs, ausgehandelten Waffenstillstand. Kurz danach scheitern jedoch in Dresden die Verhandlungen zwischen Napoleon und dem österreichischen Kanzler. Im August verbündet sich Österreich mit den beiden anderen Alliierten, so dass es zum Herbstfeldzug kommt, wobei die entscheidende Schlacht, die sog. „Völkerschlacht“, zwischen dem 16. und 18. Oktober in Leipzig stattfindet. Selbst wenn man davon ausgehen kann, dass diese Kämpfe auf den kleinen, kaum sechs Monate alten Richard keine Auswirkungen hatten, so kann man doch zurecht behaupten, dass durch die Niederlage Napoleons so etwas wie eine neue Welt entstand, in welcher Wagner seine Jugend erlebte. Sein Biograph Martin Gregor-Dellin schrieb hierzu: „Das Leben Richard Wagners, verlief nicht neben der Geschichte her, sondern war von Anfang an so sehr in sie verflochten, daß man die Wechselwirkungen genau verfolgen muß“.

MVRW Bataille leipzig

MVRW Leipzig 1813Was die Fantasie mancher beflügelt, ist v. a. Folgendes: Als Napoleon versteht, dass er verloren hat, tritt er die Flucht an und galoppiert quer durch Leipzig. Sein Verbündeter, der sächsische König, wird gefangengenommen, seine Truppen jedoch sind während der Schlacht ins preußische Lager übergelaufen. Der schwedische Erbprinz Bernadotte, der Zar, der König von Preußen, der österreichische Kaiser, sämtliche Sieger kamen nach der Schlacht auf dem Marktplatz zusammen. Berücksichtigt man ferner, dass auch Generäle und Adjutanten anwesend waren, muss es sich bei den vielen verschiedenen Uniformen und bunten Federbüschen um ein rechtes Spektakel gehandelt haben. Beschlossen wurde dort, dass der Wiener Kongress über die Neugestaltung Europas entscheiden sollte.

Dass derartige Ereignisse, die Angst der Familie, Kampfhandlungen in unmittelbarer Nähe, Ungewissheit, spätere Erzählungen von Horrortaten und Ruhm ein kleines Kind, das am 22. Mai 1813 geboren wurde, indirekt beeinflussen, kann sicherlich nicht geleugnet werden. Hinzu kommt außerdem, dass es durch die zahlreichen Toten und Verwundeten in Leipzig zu einer Typhusepidemie kommt, der Richards Vater, ein Polizeibeamter, am 23. November 1813 zum Opfer fällt. Richard Wagner ist von da an Halbwaise, so dass man sagen kann, dass die Geschichte bereits in diesem Alter bei ihm ihre Wunden hinterlassen hat. Wie es nach der Schlacht um Leipzig weiterging, ist allgemein bekannt. So kam es zum Frankreichfeldzug, der Kapitulation von Paris sowie zur Abdankung und Verbannung Napoleons auf die Insel Elba.

MVRW La Bataille de ParisDer Erste Pariser Frieden am 30. Mai 1814 belässt das Königreich Frankreich in seinen Grenzen vom 1. Januar 1792. Es folgen die Herrschaft der Hundert Tage, Waterloo und der Wiener Kongress, welcher eine territoriale Neuordnung zum Ziel hatte. Zu erwähnen sind unter den schwierigen Verhandlungen v. a. die um Polen und Sachsen. Um Preußen für den Verlust des Großherzogtums Warschau, welches Russland für sich beansprucht, zu entschädigen, erklärt sich der Zar bereit, Sachsen Preußen zu überlassen, um damit auch den sächsischen König für seine Treue zu Napoleon zu bestrafen. Österreich und England stimmen dem jedoch nicht zu. Talleyrand rettet die ziemlich vergiftete Atmosphäre und pocht darauf, dass der sächsische König (Ludwig XVIII war mit einer seiner Cousinen verheiratet) aufgrund des Legitimitätsprinzips auf seinem Thron belassen wird. Die Verhandlungen des Kongresses dauern ganze 100 Tage und enden schließlich mit der Unterzeichnung der Wiener Kongressakte, in der Ländereien im nördlichen Sachsen trotzdem an Preußen fallen, am 9. Juni 1815, 9 Tage vor der Schlacht von Waterloo.

MVRW Leipzig_1813_marktplatzEs kommt zur Gründung des Deutschen Bunds, bei dem Bayern, Württemberg und Sachsen die von Napoleon verliehene Königswürde behalten und dessen Vorsitz der österreichische Kaiser übernimmt. Aufgrund dieses Staatenbunds und des dadurch in Europa entstandenen Kräftegleichgewichts gelingt es, fast ein halbes Jahrhundert lang den Frieden in Europa sicherzustellen, bis es zu den Deutsch-französischen Kriegen kommt, die schließlich zur deutschen Einigung führen. Richard Wagner verlebte seine jungen Jahre also in einem Europa, das nur vorübergehend zur Ruhe kam.

 

– Martin GREGOR-DELLIN : RICHARD WAGNER, sein Leben, sein Werk, sein Jahrhundert  (Piper Verlag)

FD.

Auszug des Artikels Richard Wagner et l’Histoire de son temps (Fr) von logo_cercle Françoise DERRÉ
in WAGNERIANA ACTA 2003 @ CRW Lyon

MVRW Picto Section 1 

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