BAYREUTH – KAPITEL III

III. DIE RICHARD-WAGNER-FESTSPIELE
(1876 – 1882)

1. Die ersten Bayreuther Festspiele (1876)

Trotz der bereits vor einem Jahr begonnenen Proben sind die Sänger nicht wirklich bereit, einige Tage vor der Premiere herrscht sogar regelrechtes Chaos.

Zwischen Wagner und Richter entbricht ein Streit um die Tempi der Partitur, was zwischen beiden Musikern zu einer unguten Stimmung führt. Zu diesen Streitereien kommt ein weiterer Punkt: Der Drache, den Siegfried im Verlauf des zweiten Akts der gleichnamigen Oper bezwingen soll, hat keinen Hals. Eine der drei aus London kommenden Kisten, die jeweils einen Teil des gefährlichen Tiers enthielten, war nämlich aus Versehen nach Beirut geschickt worden… Ein fataler Irrtum!

images-8-1Trotz aller von bestimmten Sängern nur annähernd getroffenen Töne, welche für eine so innovative und wenig konventionelle Musik nicht wirklich bereit waren, trotz der Ängste der Rheintöchter, sich in den vom Theateringenieur Karl Brandt konzipierten Wagen zu begeben, und trotz eines Drachens ohne Hals findet die Premiere von Rheingold, mit dem das dreizyklige Festival beginnt, am 13. August 1876 statt.

Bei der Premiere ist nicht gerade wenig los. Zahlreiche geladene Gäste, darunter v. a. Mitglieder von Königsfamilien, Ludwig II. von Bayern (welcher, um dem Protokoll zu entkommen, lediglich an den Generalproben teilnimmt), Kaiser Wilhelm, Dom Pedro II. von Brasilien… sind angereist. Weder die kleine fränkische Stadt noch ihre Einwohner sind solche Persönlichkeiten von Welt gewohnt, geben jedoch ihr Bestes, um die auserlesenen Gäste gebührend zu empfangen. Jedenfalls fast… Vom Kaiser von Brasilien z. B. wird in einem kleinen Hotel der Stadt verlangt, dass er eine Anmeldung ausfüllt, wohin dieser als disziplinierter Gast „Dom Pedro“ und bei Beruf Kaiser in die Spalten schreibt.

venue11-300x200Zur Einweihung der Festspiele sind viele Freunde und Mäzene des Ehepaars Wagner erschienen. Für den Komponisten die Gelegenheit, seine Familie und seine Lieben unter einem Dach zu vereinen: Judith Gautier, Mathilde Wesendonck und natürlich ihren Mann Otto.

Was aber sicher mit am wichtigsten ist, ist mit Camille Saint-Saens, Franz Liszt, Anton Bruckner oder auch Piotr Iljitsch Tschaikowski das Erscheinen der musikalischen Intelligentsia der Epoche.

Der Erfolg der Festspiele ist unglaublich groß. Das Gebäude und der Wagemut seines Baus sowie die von Wagner auferlegten Rituale (der Saal befindet sich in völliger Dunkelheit, die Zuschauer werden am Ende der langen Pausen von Hörnerklang an ihre Plätze zurückgerufen) sowie die Musik der Zukunft überraschen die Zuschauer. Alle, die bei dieser Premiere dabei sind, reisen mit dem Eindruck wieder ab, Zeugen einer musikalischen und technischen Meisterleistung geworden zu sein.

Nach der Aufführung der Götterdämmerung, welche den Ring des Nibelungen beschließt, stellt sich die Frage nach einer künstlerischen als auch einer… finanziellen Bilanz.

Hat der Erfolg der ersten Ausgabe der Festspiele im Jahr 1876 Wagner und seinen begeisterten Bewunderern all das gebracht, was sie sich erwarteten? Bemühen wir für die Antwort den Kritiker Paul Lindau, welcher zur Beschreibung der Stimmung nach der Uraufführung des Rings des Nibelungen meinte, während die glühendsten Wagneranhänger nicht so zufrieden gewesen seien, wie sie es sich verhofft hätten, seien die Skeptiker nicht so enttäuscht gewesen, wie sie es befürchtet hätten.

fabd171f4138a913b4e602d6a4801f86-193x300Von einem rein musikalischen Gesichtspunkt aus gesehen ist der Erfolg des Rings sicher nicht zu leugnen, obwohl manche der Sänger – nach Komponist und Kritik – der Partitur nicht ganz gewachsen waren. So weiß man insbesondere durch die Äußerungen von Heinrich Porges und Richard Fricke, welche beide bei den Vorstellungen anwesend waren, dass der Tenor Gerhard Unger, welcher den Siegfried sang, im Gegensatz zum hervorragenden Karl Hill (Alberich) nicht wirklich auf der Höhe war.

Die Musik jedoch half darüber durchaus hinweg. Nach der Uraufführung der Götterdämmerung zeigt Richard Wagner während des Banketts in Anwesenheit des gesamten Teams auf Franz Liszt. Was für eine kraftvolle Ehrbezeugung eines Schülers, der über seinen Meister hinausgewachsen war!

Was das Künstlerische betrifft, so ist der Erfolg eher durchwachsen, v. a. wenn man die ursprünglichen Ambitionen des Komponisten betrachtet.

Dies liegt hauptsächlich daran, dass Wagner sich mit seinem Werk vom üblichen Sammelsurium der Produktionen seiner Zeit mit Abstraktion abheben wollte, dass ihm dies aber aufgrund seines Perfektheitsanspruchs nicht gelang. So wurden Details der Bühnenmaschinerie sowie der Inszenierung eine derartige Genauigkeit beigemessen, dass beides schon fast in den Vordergrund trat und die Abstraktion, von der der Komponist ursprünglich geträumt hatte, in weiter Ferne lag.

Der unerbittliche Eduard Hanslick wiederum, ein vehementer Gegner der Wagnerschen Kunst, welche er als „prätentiös“ betrachtete, hält sich mit seiner Feder ebenfalls nicht gerade zurück. Für den Kritiker beschränkt Wagner seinen Ehrgeiz darauf, aus der Musik eine märchenhafte Maschinerie zu machen. Will man Fricke Glauben schenken, so gestand Wagner ihm:Nächstes Jahr machen wir alles anders„.

Ohne Zweifel jedoch waren die Festspiele künstlerisch innovativ und konnten auch einige erstaunliche technische Neuerungen aufweisen, so z. B. die von Wagner eingeführte totale Dunkelheit im Zuschauerraum, die man heutzutage auch im Kino wiederfindet, wo sie es dem Zuschauer erlaubt, sich auf die Leinwand zu konzentrieren. Um sein neu gewonnenes Publikum nicht allzusehr vor den Kopf zu stoßen, war Wagner erst einmal vorsichtig und wollte es zunächst nicht einer totalen Dunkelheit, sondern nur gedämpftem Licht aussetzen. Mangels Zeit konnte die Gasbeleuchtung, welche hierfür ursprünglich vorgesehen war, jedoch nicht installiert werden. Kaiser Wilhelm, welcher geplant hatte, am Ende des ersten Aktes der Götterdämmerung die Vorstellung zu verlassen, wäre daher beim Verlassen seiner Loge fast hingefallen, hätte ihn Wagner nicht am Arm aufgefangen, womit er sich seinen Freunden gegenüber noch lange brüstete und zahlreiche Male erwähnte, dass er nicht nur den Kaiser, sondern ganz Deutschland gerettet habe.

Stadtkirche_Bayreuth_Nordseite_10.04.07-300x225Für die kleine Stadt Bayreuth, in der man einen solchen Auflauf an Berühmtheiten und gekrönten Häuptern nicht gewohnt war, war die Bilanz natürlich mehr als positiv.

Betrachtet man die Geschichte der Festspiele genauer, so muss man sagen, dass es sich für die Stadt Bayreuth nach den ersten Festspielen im Jahr 1876 sehr schnell rentierte, dass Wagner ein Grundstück zur Verfügung gestellt worden war. Schon mit der ersten Ausgabe der Festspiele kam ferner in Bayreuth ein großer Souvenirhandel auf.  So konnten Gegenstände mit dem Abbild Wagners oder der Nibelungen sowie Postkarten gekauft werden, was den Historiker Joseph Rovan dazu verleitete zu sagen, dass Wagner v. a. für hauptberufliche Journalisten und Wohnzimmer mit Plüschsofas ein großer Künstler sei.

Den Teammitgliedern der Festspiele sowie den Zuschauern war durchaus bewusst, dass sie durch ihre Beteiligung an bzw. ihre Anwesenheit bei diesen ersten Festspielen Zeugen eines großen Ereignisses der Musikgeschichte geworden waren. Ein Ereignis, das bald als ein einzigartiges Erlebnis gesehen werden sollte. Trotz der Probleme während der Inszenierung war die Stimmung insgesamt außerdem optimistisch. Wagner wiederum ist nicht wenig stolz darauf, sein Projekt trotz aller Widrigkeiten durchgeführt zu haben, und denkt bereits an eine zweite Ausgabe seiner Festspiele. Und das schon für das darauf folgende Jahr!

Was das Finanzielle betrifft, so stellt sich die erste Ausgabe der Festspiele jedoch als eine totale Katastrophe heraus.

Zwar war für den Bau des Festspielhauses Geld von allen Seiten gesammelt worden, jedoch häuften sich die Schulden! Noch vor den Vorstellungen waren die Kosten für den Bau des Gebäudes, für Bühnenbild, Kostüme und Künstler weit höher als geplant. Am Tag vor den ersten Festspielen beläuft sich das Defizit insgesamt auf 150 000 Mark, danach immer noch auf die astronomisch hohe Summe von 148 000 Mark.

Richard Wagner erfährt auf einer Reise nach Verona davon. Hatte er schon vor den Festspielen zu dessen Finanzierung Konzerte geben und weder Sänger noch Orchesterchef bezahlen müssen, da diese „eingeladen“ waren, waren jetzt auch noch Konzerte nach den Festspielen nötig, um das Defizit zu verkleinern! Mit 68 Jahren sieht sich Wagner dazu gezwungen, im Frühjahr 1877 eine Konzertreihe in London zu geben.

Leider schafft er es damit jedoch nur, ein Zehntel seiner Schulden zu begleichen.

MVRW NEUMANN AngeloDas Schicksal will es anschließend, dass Wagner noch einmal auf Angelo Neumann trifft, der inzwischen Direktor der Leipziger Oper geworden ist. Ein Mann, den die Vorsehung schickte! Als Wagnerianer der ersten Stunde (er hatte in seiner Jugend und Zeit als Sänger mehrere Rollen in Wagnerschen Opern interpretiert) fühlt sich Neumann als Künstler, Impresario und schließlich Operndirektor einer doppelten Aufgabe verpflichtet: Wagner und seine Kunst außerhalb Bayreuths mit einer wandernden Theatertruppe, den Wagner-Traveling-Theater,  bekannt zu machen und Wagner zu unterstützen, indem er die Vorstellungsrechte in ganz Europa verhandelt und die Kostüme und Bühnenbilder mietet, die zur Vorstellung des Rings des Nibelungen in Bayreuth verwendet wurden. Ein Angebot, das Wagner erst nach einer Weile annimmt, und das vermutlich auch nur, weil ihn die Schulden drücken und er hofft, in Bayreuth noch einmal Festspiele auf die Beine stellen zu können. Eine Entscheidung, die Wagner zu Einnahmen verhilft, die es ihm erlauben, einen Teil des Schuldenbergs abzubezahlen, den die erste Ausgabe der Festspiele hinterlassen hat.

Schließlich wendet sich der Künstler auch wieder an seinen königlichen Freund und Mäzen, Ludwig II. von Bayern, welcher auch dieses Mal bereit ist, den Komponisten finanziell zu unterstützen und einen Teil seiner Schulden zu begleichen. Für den König kommt es auf diese Summe nicht mehr an und für Wagner wird dadurch eine zweite Ausgabe der Festspiele möglich.

2. Der Weg zu einer zweiten Ausgabe
der Bayreuther Festspiele: Parsifal (1882)

Ursprünglich geplant war eine zweite Ausgabe der Bayreuther Festspiele nicht. In den ersten Jahren, in denen Wagner über ein Festival zu Siegfried nachdachte, war die Festspielidee die eines provisorischen Theaters, eines einzigartigen Events. Heutzutage würden wir vielleicht sogar von einem „Happening“ sprechen.

Eine Position, die zu den restlichen Anschauungen des Komponisten passt, welcher z. B. jedweden Besitz ablehnt. Wagner ist zu jener Zeit ein Waffenbruder Bakunines und hat soeben erst mit viel Aufmerksamkeit Proudhon gelesen. Provisorisch waren also das Theater und zumindest zu Anfang auch die Partitur, jedenfalls wenn da nicht ein bzw. recht viele Probleme gewesen wären…

Um seinen Traum verwirklichen zu können, hat Wagner die Vorstellungsrechte nicht nur an Ludwig II. von Bayern, sondern auch an seine Mäzene (allen voran Otto Wesendonck) und an Schott, seinen Herausgeber, verkauft. Unmöglich, eine Partitur zu verbrennen, die ihm nicht gehört und die auch Bayreuth nicht mehr gehört! Der Bau des Festspielhauses wiederum ging nicht nur auf Geldmittel von allen Seiten zurück, sondern liegt finanziell schwer auf den Festspielen.

Zu diesen materiellen Details kommt hinzu, dass die erste Ausgabe seiner Festspiele Wagner nicht wirklich zufriedengestellt hat und er sich mit der Idee trägt, seine Festspiele in einer weiteren Bayreuther Ausgabe zu verbessern. Ein Geheimnis ist das zu jenem Zeitpunkt nicht wirklich, hatte Wagner, welcher sich der Probleme im Hinblick auf die Inszenierung während der ersten Ausgabe 1876 bewusst war, doch ausgerufen: „Nächstes Jahr machen wir alles anders“.

Und dann sind da noch die Wagnerschen Unternehmen sowie der Patronatsverein, welche am Tag nach der Uraufführung des großen Werks ohne Aufgabe und Hoffnung sind.

Im September 1876 verlässt das Ehepaar Wagner Bayreuth und die Villa Wahnfried und begibt sich zur Erholung auf eine lange Reise durch Italien. Wie bei so manchem Künstler ist Wagners Stimmung nach einer künstlerischen Schöpfung, die so viel Zeit in Anspruch genommen hat und mit derart viel Risiken verbunden war, nicht gerade die beste. Seine Stimmung ist sogar überaus schlecht. Trotzdem arbeitet er bereits an seinem nächsten Werk, Parsifal. Was der Komponist nicht weiß: Es wird sich dabei um sein letztes handeln. Das Festspielhaus, welches sich von Italien aus gesehen in weiter Ferne befindet, bleibt für sechs lange Jahre geschlossen.

Während Parsifal langsam Form annimmt, denkt Wagner aber durchaus an Bayreuth. Als den Ort nämlich, an dem er das Werk zur Aufführung bringen wird, an dem er arbeitet wie an einem Diamanten. Und um die Zukunft seines Werks sorgt er sich dieses Mal auch bis ins Detail. Selbst wenn auf dem Theater sehr viele Schulden lasten, so ist es doch erbaut und er als Komponist kann fortan einen gewissen materiellen Komfort genießen, ohne jedoch zu sehr im Überfluss zu schwelgen.

Die Rechte an seinem neuen Werk muss er nicht verkaufen. Sie gehören einzig und allein dem Theater in Bayreuth. Parsifal nur für Bayreuth vorzusehen, heißt schon, den Festspielen zu einer gewissen Perspektive zu verhelfen. Vielleicht denkt Wagner dabei ja auch schon an die Zukunft seiner Kinder und seiner um 25 Jahre jüngeren Ehefrau. Am 24. Oktober 1880 gesteht Ludwig II. Wagner in einem Brief den Willen zu, Parsifal für Bayreuth zu reservieren.

Als das Werk, das nie in einem anderen Theater als in Bayreuth gespielt werden sollte, fertiggestellt ist, benötigt Wagner wieder die Hilfe des bayerischen Königs, welcher sie ihm auch dieses Mal nicht versagt, so dass der Komponist den Patronatsverein im Jahr 1880 über seine für 1882 geplante zweite Ausgabe der Festspiele informieren kann.

Zur gleichen Gelegenheit beschließt Wagner, die Vorstellungen in Bayreuth öffentlich zu machen. Parsifal wird am 26. Juli 1882 gespielt. Die Einnahmen der letzten 14 Vorstellungen sowie die vom Patronatsverein gesammelten 180 000 Mark führen zu einem Überschuss von 145 000 Mark, welche als Garantiefonds dienen und den Anfang des Festspielfonds bilden.

Mit seinem Tod im Jahr 1883 hinterlässt Wagner ein avantgardistisches Festspielhaus, zwei in den Jahren 1876 und 1882 durchgeführte Festspiele, welche die Geschiche der Musik und des Theaters für immer geprägt haben, sowie… ein überaus schwer zu verwaltendes Erbe.

NC/SB

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