BAYREUTH – KAPITEL VI

VI. NACHKRIEGSZEIT

Am Ende des Zweiten Weltkriegs wird das Dritte Reich in der Regel mit Bayreuth, ja bisweilen sogar mit dem Werk Richard Wagners assoziiert, dessen ursprünglicher Charakter durch den Nationalsozialismus verändert wurde.

Mit der Person Winifreds hat die Festspielleitung außerdem zu sehr mit dieser Ideologie geliebäugelt. Ab 1945 ist es daher unter der Besatzung durch die Allierten nicht mehr möglich, in Bayreuth einem Wagnerkult zu huldigen oder Werke des Meisters aufzuführen. Richard Wagner, Winifred, die Bayreuther Festspiele, Hitler, das Dritte Reich hängen über der kleinen fränkischen Provinzstadt, in der man einige Jahrzehnte vorher weder daran geglaubt hätte, zu einer Stadt der Künste, noch zu einer Hochburg der Huldigung der Nationalsozialisten zu werden.

Während der amerikanischen Besetzung versucht man also, Wagner aus seinem Tempel zu verbannen. Die Werke des Künstlers sind verpönt. Eine provisorische künstlerische Leitung gestaltet das Theater, das vorher dem Wagnerkult gewidmet war, unter Aufsicht der amerikanischen Besatzungsmacht zu einer Art Music-Hall, die zur Aufführung von amerikanischen Musicals sowie Opern französischen und italienischen Stils diente, um. Im Jahr 1951 schließlich kann Winifred, die 1949 von einem Militärgericht ihrer Rechte enthoben worden war, die Festspielleitung an ihre beiden Söhne Wolfgang und Wieland, einem innovativen Regisseur und Visionär, übergeben.

1. Das „Neue Bayreuth“

MVRW-Neues-Bayreuth-163x300Im Jahr 1951 kommt es schließlich zum „Neuen Bayreuth“, wobei der Ausdruck darauf hindeutet, dass es sich um ein komplett entnazifiertes Bayreuth mit Festspielen handelt, die – was Opernaufführungen betrifft – sehr innovativ und geradezu revolutionär waren. Mit Ritterrüstungen, keltischen Helmen und Hauben, welche Cosima aufgrund der blinden Gefolgschaft ihres Mannes beibehielt, ist nun Schluss. Stattdessen sind mit Wieland Wagner puristische und minimalistische Inszenierungen angesagt.

Bereits bei den ersten Festspielen nach dem Zweiten Weltkrieg kommt das Genie des künstlerischen Direktors in Aufführungen zum Ausdruck, die sich an den Grundsätzen von Adolphe Appia orientieren und gleichzeitig – wie auch vorher schon – auf die besten Sänger und talentiertesten Orchesterchefs setzen.

Als deutliches Zeichen hängt ganz in der Nähe des Festspielhauses ein Plakat mit der Aufschrift: „Hier gilt‘s der Kunst!“  Die Absichten des neuen Teams, welches von den zwei Enkelsöhnen des Komponisten – allen voran Wieland – geleitet wird, sind ganz klar: In Bayreuth geht es von nun an nicht mehr um Politik oder Ideologie, sondern einzig und allein um Kunst.

Wilhelm-Furtwangler-1925-Carnegie-Hall-300x212Zur offiziellen Eröffnung der Festspiele am 29. Juli 1951 dirigiert Wilhelm Furtwängler, der – was die Nationalsozialisten betrifft – bereits öffentlich über seine Gegnerschaft gesprochen und Wieland damit ein zusätzliches Argument für Publikum und Presse geliefert hat, die Neunte Sinfonie von Ludwig van Beethoven, ein Werk, das Richard Wagner sehr am Herzen lag und das als einziges Werk, das nicht von Wagner stammt, traditionsgemäß immer wieder zum Repertoire der Bayreuther Festspiele zählte. (Die Neunte Sinfonie von Beethoven wurde auch seither einige Male gespielt, insbesondere 1953 und 1963.)

Mit dieser Wahl huldigt Wieland der Wagnerschen Traditionen, wurde dieses Werk doch am 22. Mai 1872 am Markgräflichen Opernhaus gegeben, als der Komponist und Großvater Wielands mit viel Prunk die Grundsteinlegung für sein Festspielhaus feierte.

Birgit Nilsson with Wolfgang Windgassen as Tristan in Tristan unTrotz der wagemutigen Inszenierungen des Komponistenenkels ziehen die Aufführungen das Publikum an, treten dabei doch die besten Sänger der damaligen Zeit (Hans Hotter, Ludwig Weber, Wolfgang Windgassen, George London, Ramon Vinay, Gustav Neidlinger, Martha Mödl, Regina Resnik, Astrid Varnay, Birgit Nilsson) auf.

Der Ruf des Festspielhauses ist mit diesen großartigen Sängern bald ein ausgezeichneter und Bayreuth wird sehr schnell zu einem bei Kritikern und internationalem Adel sehr beliebtem Ort, einem Platz, der für die Oper des 20. Jahrhunderts steht.

Wer bei den Festspielen einen Platz haben möchte, muss langsam ein Vermögen dafür bezahlen.

2. Wieland Wagner und das Neue Bayreuth

Die Inszenierungen von Wieland Wagner sind minimalistisch, mit hohem Symbolgehalt und spielen mit der Bühnentiefe sowie einer subtilen Beleuchtung. Sie zeigen die universale und zeitlose Bedeutung der Werke und werden so sehr bald selbst zur Legende. Sämtliche Produktionen von Wieland unterliegen einer ständigen Entwicklung.

26c762b3091d48d1b7876dd30929065e-300x241-1Zwischen 1951 und 1966 kommt es zu einer Entwicklung, die mit einem ersten Abstraktionsversuch beginnt und schließlich zum totalen Verzicht auf ein Bühnenbild führt. Wahrscheinlich aufgrund eines Mangels an Zeit gibt Wieland 1951 künstlerisch nicht alles, obwohl er den Wunsch hat, „de vouloir taper un bon coup sur la tête des vieux messieurs de Munich“ (sic), um es mit seinen eigenen Worten zu sagen.

Im Laufe der Jahre bietet er dem Publikum, das für einen Weg des absoluten Purismus immer mehr bereit scheint, eine richtiggehende Initiation an.

Während Siegfried den Kartondrachen Fafner im Jahr 1951 noch mit einem Schwert bekämpft, zeigt der geniale Regisseur später nur noch eine Projektion, die schließlich auch ganz langsam verschwindet.

Die Bühneninszenierungen der Festspiele des Jahres 1951 sind folglich irgendwo zwischen der Figurativen und der Abstrakten Kunst angesiedelt. Viele Bühnenbilder dieser beiden Produktionen werden nicht mehr nach einer vorgegebenen Skizze, sondern nach einfachen Entwürfen oder funktionellen Schemata angefertigt. Szenenbilder werden auf einer fast leeren Bühne anhand von Projektionen nur mehr suggeriert.

Ein typisches Beispiel für den Weg, den die Inszenierungen des Wagnerschen Werks durch Wieland nehmen, ist der Parsifal. Wieland inszenierte ihn 1951 und arbeitete bis zu seinem Tod im Jahr 1966 immer wieder daran.

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Während man auf der Bühne anfangs – dem Libretto getreu – einen dichten Wald sowie einen See sieht, in dem Amfortas, der verletzte König, badet, sind später nur noch die Schatten von Bäumen vorhanden, die mittels Projektoren im Seilboden auf dem Zyklorama entstehen, so dass ein Eindruck von Sonnenstrahlen in einem imaginären Nadelwald entsteht.

wieland-swan-300x181Im Zentrum der Bühne konzentriert sich das Geschehen auf einer kreisrunden Plattform, auf der sich nach einer sehr kurzen Umbaupause und einem Zugehen des Vorhangs der Altar der Gralsbruderschaft befindet.

Wenn der Tempel aus dem Jahr 1951 insgesamt in seiner Konstruktion dem aus dem Jahr 1882 ähnelt, so wird auch er im Laufe der Jahre immer abstrakter.

So genügen ein paar Säulen und schließlich ein paar Lichtstrahlen, welche eben jene Säulen suggerieren, um die Gralshalle zu begrenzen. Ganz nach der Lehre Appias kommt dem Licht also eine sehr wichtige Rolle zu. Klingsors Kabinett, welches früher so aussah, als ob es Doktor Jekill und nicht einem Zauberer gehörte, wird nunmehr durch eine Art grünliches Spinnennetz angedeutet, welches für das Zögern und Zaudern des verlorenen Parsifal steht und aus dem nach und nach der Magier und seine verdammte Seele, Kundry, auftauchen.

MVRW-PARSIFAL-Bayreuth-1951-Akt-3-214x300Auch die Gurnemanz-Klause im dritten Akt gibt es nicht mehr. Stattdessen eine fast leere Plattform, die die Hoffnungslosigkeit der Bruderschaft, welche ihren König verloren hat, widerspiegelt. Die Quelle, an der Kundry – einer Maria-Magdalena gleich – die Füße von Parsifal wusch, bevor sie sie mit ihren Haaren trocknete, wird durch ein rechteckiges Steinbecken mit einer einfachen Bank ersetzt. Ein Leere, die auch für die psychische Not steht. Die Taube, die man aus dem Schnürboden herabgleiten sah und die sich auf Parsifals Kopf setzte, wird nunmehr durch einen einzigen Lichtstrahl ersetzt.

Die revolutionäre Umwälzung, die Wieland Wagner mit der Ästhetik seiner Inszenierung vornimmt, erfasst aber natürlich auch Kostüme sowie die Darstellung der Personen. Richard Wagner lehnte ursprünglich das Auftreten eines Chors ab, da die Sänger eines Chors mit der Kunst der Bühneninszenierung nur wenig vertraut waren (manche Produktionen vor dem Krieg, insbesondere die der Meistersinger, waren richtiggehende Karikaturen, v. a. im letzten Akt der Festwiese).

Ein Chor auf der Bühne gab zwangsläufig ein sehr uneinheitliches Bild eines bunten, unorganisierten Völkchens ab. Bei Wieland jedoch tragen Chorsänger eine einheitliche Kleidung und verstärken so den düsteren Charakter der Gralsbruderschaft.

Die beiden Gruppen von Blumenmädchen, deren laszive Bewegungen unter seiner Leitung an Meereswellen erinnern, wirken so wesentlich einheitlicher als ein Haufen stark geschminkter bayerischer Wirtshausbediensteter, der außerdem Perücken trägt. (Als Wagner 1882 die Kostüme für die Uraufführung erhielt, hatte er im Übrigen bedauert, dass die Farben der Versucherinnen des Klingsor-Gartens zu bunt und zu vulgär waren.) Bei Wieland wiederum sind auch die Kostüme der Solisten von einer großen Nüchternheit und passen sich somit dem Gesamtkonzept an. Gleiches gilt für die Bewegungen und Haltungen. Für Wieland spiegelt sich in jeder Pose und Geste die Seele der Darsteller, womit er eine schon fast psychoanalytische Herangehensweise an den Tag legt.

MVRW-Meistersinger-1956-Bayreuth-300x236Die Aufführung der Meistersinger im Jahr 1856 zeigt dies ganz deutlich. So gibt es die für das mittelalterliche Nürnberg charakteristischen Gässchen aus Pappkarton nicht mehr.

Auch bunte Umzüge der Zünfte entlang der Pegnitz fallen weg.

An deren Stelle treten ein minimalistisches Bühnenbild und einfache Projektionen (ein Baum, ein Dach, ein Kirchturm), die den Zuschauer dazu einladen, sich die Umgebung vorzustellen, die er gerne hätte, und welche dadurch eine Identifikation mit einer wie auch immer gearteten fanatischen Ideologie vermeiden.

MVRW TANNHAUSER BAYREUTH 1952Ähnlich verhält es sich mit Tristan (dessen Aufführung 1952 als mythisch bezeichnet werden kann und der 1962 sogar noch abstrakter ist) oder mit Lohengrin (1958) und Tannhäuser (1954 und v. a. 1961), welche bisweilen aufgrund der Nüchternheit ihrer Inszenierung als Oratorien bezeichnet werden, ein Ensemble von Produktionen, das mit seinem Minimalismus von Kohärenz zeugt und mit dem Wieland Wagner erreicht, was er will: Einem neuen Deutschland, das von nun an wieder stolz auf sein neues Gesicht und seine Kultur sein kann, zu einer anderen Dimension verhelfen.

Wolfgang Wagner, der Bruder von Wieland, der ebenfalls an dieser großen Unternehmung beteiligt ist, welche einen „neuen Wagner“ und ein „neues Bayreuth“ schaffen will, ist in seiner Herangehensweise gemäßigter. So vertritt er eine etwas buntere Ästhetik, welche auf der Festspielbühne bis zum Ende der 90er-Jahre zu finden war.

Vom Weg der Dematerialisierung abkommen wollte jedoch keiner von beiden und wichtig war auch immer, dass die Kunst Richard Wagners nie mehr mit Politik und/oder einer Ideologie vermischt bzw. verwechselt werden sollte.

NC/SB

Link zur Bibliografie mit den Quellenangaben

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